Wer von uns kennt es nicht? Das berühmte Jahresgespräch, in welchem auf Grundlage völlig intransparenter Daten und persönlicher Einschätzungen der Vorgesetzten die Leistung und dadurch oftmals auch die berufliche Zukunft eines Menschen beurteilt werden.
Eine Studie des Beratungsunternehmens Accenture aus dem Jahre 2016 offenbart, dass unter den 2.100 befragten Führungskräften aus elf Ländern, 58 % angaben, dass sie den bestehenden Bewertungsprozess insgesamt als eine eher negative Erfahrung erleben (hier geht es zur offiziellen Pressemitteilung).
Umso erstaunlicher ist es, dass die persönliche Beurteilung eines Menschen nun durch das sogenannte algorithmische Management ergänzt wird, welches eine höhere Objektivität versprechen soll.
Hierbei wird der Ruf der Unternehmen nach einer „Messung“ der Arbeitsleistung mittels softwarebasierter Dienstleistungen (z.B. Protectcom, Time Doctor, Veri Clock, Activetrack, Enaible, Salesforce oder Teramind) immer lauter.
Predict and Control – Konzepte von gestern
Das algorithmische Management bildet in diesem Rahmen ein Bewertungssystem sui generis, welches durch vorgegebene, willkürlich gewählte Kriterien Menschen bewertet.
Die Frage ist, ob die digitale Koordinierung, Steuerung und Kontrolle der Mitarbeiter*innentätigkeit mittels Algorithmen nicht nur kontraintuitiv ist, sondern auch wesentliche Rechte verletzt. Das Recht auf Mitbestimmung, kollektive Interessenvertretung oder das Recht auf Privatsphäre am Arbeitsplatz wären beispielsweise zu nennen.
Inwieweit man bei einem solchen Bewertungssystem noch von Selbstbestimmung oder Selbstwirksamkeit sprechen kann, sei hier in Frage gestellt. Auch die Unterscheidung von Menschen unterschiedlichen Bildungsstandes oder geschlechterspezifische Diskriminierung können im Rahmen dieser datenbasierten Beurteilung nicht ausgeschlossen werden. So kann ein System die „Abwesenheit“ einer Mitarbeiterin, aufgrund von Familienzeit, als Faktor dafür heranziehen, dass sie bei einer Beförderung keine Berücksichtigung findet. Es wird lediglich faktenbasiert geurteilt und die persönlichen (menschlichen) Umstände spielen beim Algorithmus keine wesentliche Rolle.
Doch geht es bei der Inanspruchnahme solcher Algorithmen überhaupt um Leistungsbeurteilung und -messung oder doch eher um den Ausbau der eigenen betrieblichen Herrschaft sowie Kontrolle?
Von der low-trust-company zu einer high-trust-company mittels Digital Leadership
Nun, dies wissen die einzelnen Unternehmen wohl besser zu beurteilen.
Fakt ist: Kennzahlen- und Mitarbeiterkontrollen sind keine effizienten Strategien, um einer zunehmenden Volatilität entsprechen zu können. Stattdessen ist es sinnvoller, neue Kreativitätsräume zu schaffen, um durch innovative Lösungen die unternehmerische Anpassungsfähigkeit (auch in Krisenzeiten) zu stärken.
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist hierbei die Entwicklung von einer „low-trust-company“ zu einer „high-trust-company“ und zwar mittels “Vulnerable Leadership”. Dies bedeutet, dass es nicht mehr darum geht, Fehler zu vertuschen, Mitarbeiter zu kontrollieren und möglichst keine auffälligen Zahlen zu präsentieren, die den Unmut der Führungsebene wecken. Vielmehr geht es um eine realitätsnahe Einschätzung von Motivation und Ambition der eigenen Mitarbeitenden und um eine wertschätzende Fehlerkultur, die neue Lösungswege zulässt. Es geht um die Essenzen jeglicher Führungskompetenz: Ehrlichkeit und Transparenz.
Einen Leader/eine Leaderin zeichnet es aus, dass er/sie auch mal eine Antwort offen lassen kann mit den Worten: „Ich weiß es nicht.“ Diese Reaktion ermöglicht nicht nur einen entspannteren Umgang mit der eigenen Position, sie animiert auch die eigenen Mitarbeitenden, Teil des Lösungsprozesses zu werden. Diese sollen nicht nur warten, bis ihnen der Fünfjahresplan auf dem Silbertablett serviert wird, den sie dann nur noch fehlerfrei abarbeiten müssen.
Doch wie kann man diesem veralteten Trend entgehen und das Vertrauen zurück ins Unternehmen bringen?
Unsere 4 Tipps, um die Effizienz durch Vertrauen und Wertschätzung strategisch zu steigern:
1. Win or learn to win
Nutzen sie den natürlichen Spieltrieb Ihrer Mitarbeitenden. Anstatt sich von einem Projekt ins nächste zu stürzen, kann ein Belohnungssystem mit sich steigernden Leveln implementiert werden. Ein Level kann hierbei aus eigener Kraft (allein oder im Team) erreicht werden. Alternativ gibt es kein „Game Over-System“, stattdessen erhält jedes Teammitglied hilfreiche Tipps, was verbessert werden müsste, um das nächste Level zu erreichen. Weiterhin können Sie den Erfolg eines Projektes oder eines Teams mit Hilfe von Grafiken, wie einer Sanduhr oder Reagenzglas visualisieren. Ist das Geldsäckchen klein oder das Glas noch wenig befüllt, kommen keine negativen Gefühle auf, im Gegenteil: Der Ansporn es zu füllen wird geweckt. „Strafen“ (Krisengespräche, ständige Meetings, etc.) werden ausgesetzt und die Verantwortung zurück ins Team gegeben.
2. Schaffen Sie neue Kommunikationsmöglichkeiten
Kommunikation im Team fördert nachweislich die Leistungsfähigkeit. Im analogen Bereich kann man die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Hierarchieebenen beispielsweise durch das zur Verfügung stellen von Budget für ein gemeinsames Mittagessen zwischen (neuen) Teammitgliedern und Führungskräften gewährleisten. Was zunächst wie eine Sonderausgabe wirkt, zahlt sich nachhaltig aus, denn in einem persönlichen Gespräch lassen sich Unsicherheiten und Fragen unverbindlicher klären, als in einer offiziellen Einführungszeit (Probezeit). Der Kontext macht hier den Unterschied.
3. Innovationsgeist fördern
Fördern Sie die Kreativität Ihrer Mitarbeitenden, indem Sie gezielt „gewohnte“ Systeme verändern und dadurch neue Gewohnheiten schaffen. Nutzen Sie etablierte Problemlösungsansätze, wie “Design Thinking”. Ihre Mitarbeitenden fangen dadurch an, ihre Komfortzone zu verlassen und sich neuen Erfahrungen gegenüber zu öffnen. Mit der Zeit lernen sie, die Erfahrungen zu mögen und integrieren diese auf natürliche Weise in ihren beruflichen Alltag. Im Englischen gibt es hierfür den Ausdruck: „An acquired tast – einen erworbenen Geschmack“.
4. „Machtübergabe“ planen
Erwägen Sie einen Machttransfer von oben nach unten, denn dieser fördert die Selbstwirksamkeit sowie Eigenverantwortung innerhalb Ihres Teams. Machen Sie Mitarbeitende zu Beteiligten, denn hierdurch wird die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt, der eigene Arbeitsaufwand reduziert und der Gewinn deutlich erhöht. Eine Weiterentwicklung der Übergabe von Macht- und Aufgabenbefungnissen ist die Beteiligung an eigenen Unternehmensanteilen, denn hier gilt: Wenn einem das Unternehmen, für welches man tätig ist, teilweise selbst gehört, verändert sich die Art und Bereitschaft zu denken, zu handeln und sich selbst sowie andere weiterzuentwickeln.