Ich finde es immer wieder erstaunlich, wenn wir als UnternehmerRebellen in der Businesswelt auf sogenannte „Drifter“ treffen, also auf Menschen, über die „entschieden wird“, anstatt Entscheidungen selbst zu treffen. Spürbar wird dies im Rahmen einer Zusammenarbeit daran, dass Entscheidungsprozesse sehr schwerfällig und mühsam werden, weil zunächst alle Risiken analysiert, Meinungen eingeholt, Planungen abgeschlossen und Opportunitätskosten kalkuliert werden müssen. Verstehen Sie mich nicht falsch, diese Schritte sind auch in unseren Projekten von essentieller Bedeutung, jedoch achten wir jederzeit auf die Balance zwischen benötigtem Aufwand, den entstehenden Kosten und der Selbstverantwortung jedes/jeder Einzelnen. Willkommen im Strudel der Multioptionalität.
Der Fluch der Multioptionalität: Wir entscheiden uns, uns nicht zu entscheiden
Es wird also tagelang „gebrainstormed“, abgewägt und hinausgezögert, da sich hinter jeder Ecke eine noch bessere Chance oder Lösung finden lässt. Schlimmstenfalls führt dieser Prozess dazu, dass sich entweder dazu entschieden wird, gar keine Entscheidung zu treffen und hierdurch den Status Quo nicht zu gefährden oder es wird sich im Sinne eines „Groupthinks“ nicht für die beste, sondern für die Idee mit der größten Übereinstimmung entschieden.
Im Anschluss an diesen vermeintlichen Entscheidungsprozess folgt dann der Selbstbestätigungseffekt (confirmation bias), mit welchem eine bereits vorab entschiedene Tatsache durch Argumente und Interpretationen untermauert oder entgegengesetzte Informationen gefiltert und Fakten ignoriert werden.
Die Existenzfrage
Ich kann dieses Vorgehen aus Perspektive der Verhaltenspsychologie völlig nachvollziehen, denn jede (noch so kleine) Entscheidung scheint uns auf existenzielle Fragen zurückzuwerfen.
- Machen wir nun mehr Communitymanagement oder setzen wir auf Facebook Ads?
- Posten wir mehr informative Inhalte oder Clickbait-Nachrichten mit Entertainment-Charakter?
- Bleiben wir mehr auf professioneller Ebene oder zeigen wir aktiv Persönlichkeit?
Diese und ähnliche Fragen besitzen ihren Ursprung allerdings an anderen Stellen:
- Möchte ich eine organische und nachhaltige Reichweite oder ein schnelles Wachstum, um meine Umsatzziele zu steigern?
- Möchte ich eine Verbindung zu meinen Kunden/Kundinnen und nehme hierfür auch einen geringeren Gewinn in Kauf oder stehen Klickraten und Absatzzahlen an erster Stelle?
- Welche Unternehmensvision habe ich und inwieweit bin ich bereit, andere an dieser teilhaben zu lassen?
Entscheidungen zu treffen, bedeutet, sich zwischen mehreren Wahlmöglichkeiten zu entscheiden, die wir als gleichermaßen wichtig erachten, denn sonst würden sie einander nicht gegenüberstehen. Wir sehen uns neben der Wahl jedoch noch mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert und zwar der Frage nach unseren Werten. Wertvorstellungen sind grundsätzlich nicht miteinander vergleichbar und hierdurch nicht zu quantifizieren. Entsprechend sind die oben erwähnten Beispiele auch indirekte Fragen nach den eigenen Unternehmenswerten: Welche Art von Unternehmen möchten wir sein? Wie verhalten wir uns nach außen hin? Was sind unsere Werte?
Doch wie schafft man es, sich souverän aus einer passiven Entscheidungsrolle heraus zu einem Entscheidungs-Profi zu entwickeln?
5 Tipps, um eine persönliche Entscheidungsstrategie zu entwickeln
1. Sammeln Sie wirklich ALLE Lösungsmöglichkeiten
Als UnternehmerRebellen sehen wir uns im Rahmen unserer Workshops oft die bereits bestehenden Entscheidungsstrukturen an und stellen fest, dass, sofern kein Top-Down-System besteht, also die Entscheidungen von der Führungsebene einfach an den Rest der Belegschaft weitergegeben werden, der Entscheidungsfindungsprozess meist nur aus ein bis zwei Fragerunden besteht. Hier werden zumeist die gängigen sowie bereits bestehenden (offensichtlichen) Lösungen angeboten und hieraus (im Sinne des oben beschriebenen „Groupthinks“) der beste Kompromiss ausgewählt. Ich möchte Sie jedoch dazu einladen, eine Coachingmethode auszuprobieren, die sich „zirkuläre Frage“ nennt. Hierbei wählen Sie sich bestenfalls Personen aus, die nichts mit Ihrer Branche zu tun haben oder (wenn Ihnen ersteres zu abstrakt erscheint) die Konkurrenz und fragen gezielt: „Was würde Elon Musk, Madonna, der Dailai Lama oder Konkurrent xy tun?“ Nur indem Sie Ihre Mitarbeitenden dazu ermuntern, auch über den Tellerrand hinaus zu denken und die Perspektive gänzlich neu auszurichten, erhalten Sie Lösungsmöglichkeiten, an die Sie zuvor niemals gedacht hätten. Alle Ideen sind erlaubt, nichts wird im Keim erstickt.
2. Confirmation bias vermeiden
Prüfen Sie alle Unstimmigkeiten, Fehler und Widersprüche, die Ihrer Lösung entgegenstehen und tauchen Sie hier in einen Reflexionsprozess ein. Es bringt Ihnen gar nichts, sich die eigene Lösung schön zu reden, weil man vermeintlich lange darüber nachgedacht hat oder weil sie sich wie der „stimmigste Kompromiss“ anfühlt. Gut heißt nicht gleichzeitig richtig, seien Sie hier also vor allem ehrlich zu sich selbst und Ihren Mitarbeitenden. Es ist besser, anfangs mehr Zeit in den Lösungsfindungsprozess zu investieren und im Nachgang ein wenig nachzujustieren, als dauerhaft Korrekturschleifen zu durchlaufen, weil man sich zu schnell einig werden wollte. Scheuen Sie in diesem Fall nicht den Konflikt, denn Widerstand im Business bedeutet stets Wachstum und Weiterentwicklung.
3. Benutzen Sie die „Ampel-Technik“
Ob Sie es glauben oder nicht, Sie treffen am Tag hunderte bewusste und unbewusste Entscheidungen. Manche fallen uns hierbei sehr leicht (Hygiene, Ernährung, etc.), weil sie Teil unserer alltäglichen Routine sind, andere empfinden wir als etwas schwieriger (Rad oder Auto?), weil sie mit weiteren Indikatoren (Wird es regnen? Habe ich einen Präsenztermin, den ich wahrnehmen muss? Wollte ich nach der Arbeit die Kinder zum Verein bringen?) verbunden sind und hierdurch an Komplexität gewinnen. Um sich im „Entscheidungs-Dschungel“ nicht gänzlich zu verlieren, hilft Ihnen die Ampel-Technik sehr effektiv, um sich auf die wesentlichen Entscheidungen zu konzentrieren. Hierzu teilen Sie diese in die drei bekannten Ampelfarben „rot, gelb, grün“ ein. Grüne Entscheidungen können schnell getroffen werden und sollten von Ihnen keines zweiten Gedankens gewürdigt werden (nehme ich jetzt Cappuccino oder Latte Macchiato?). Im Notfall entscheiden Sie sich hierbei heute für die eine und morgen für die andere Variante. Das oben genannte Beispiel (Rad/Auto) gehört in die gelbe Kategorie. Hier spielen Sie kurz durch, welche wesentlichen Indikatoren für/gegen die eine oder andere Variante sprechen. Achtung! Nehmen Sie hierzu maximal ein bis zwei Argumente. Hier wird nicht am offenen Herzen operiert, entsprechend wird es keine weitreichenden Konsequenzen haben, egal für welche Alternative sie sich entschieden haben. Der roten Kategorie folgt ein intensiver Reflexionsprozess. Wir glauben oftmals, dass wir bereits alle Alternativen durchgespielt haben, vergessen zwischen Weiss und Schwarz jedoch die Grauzonen. Zu dieser Kategorie gehören Fragen entlang des eigenen Lebens- und Businesskonzepts (Nächstes Projekt, Gehaltswunsch, Arbeitgeberwechsel, etc.), existenzielle Fragen (z.B. im Hinblick auf Ehe, Partnerschaft und Familienplanung) oder grundlegende Ausrichtungsfragen (Studium, Ausbildung, Finanzielle Sicherheit, etc.). Die rote „Ampelphase“ wird nicht durch eine To-Do-Liste gelöst werden können. Ein kleiner Tipp: Distanz kann helfen. Nehmen Sie bewusst emotional Abstand von Ihrer Frage und bewerten Sie diese (mit Tipp Nr. 1) aus unterschiedlichen Perspektiven.
4. Professionelle Unterstützung
Es ist zwar der naheliegendste Schritt und doch wird dieser von vielen erst als „ultima ratio“ gegangen – Professionelle Sparringpartner*innen, die einem im Lösungsfindungsprozess fachkundig und mittels Erfahrung und Methodenkompetenz unterstützen. Entscheidungsprozesse im Unternehmen sind Teil der Unternehmenskultur und können genau wie alle anderen Organisationsentwicklungsprozesse professionalisiert und verbessert werden. Eine externe Perspektive bringt hierzu den Vorteil mit sich, dass bisherige Bequemlichkeiten, Weltanschauungen und „Entscheidungs-Vorlieben“ durchschaut und zielgerichtet an eine innovative Entscheidungskultur angepasst werden.
5. Commitment
Der letzte Tipp schließt nahtlos an die vorangegangenen Methoden sowie Empfehlungen an und macht vermutlich den größten Unterschied aus. Das innere Commitment oder auch die eigene Risikobereitschaft sind Arten einer verbindenden Selbstverpflichtung. Sie (und Ihr Team) sprechen sich entsprechend nicht nur wohlwollend für Ihre Entscheidung aus, sondern Sie verbinden sich mit dieser samt der Chancen und Konsequenzen, welche diese mit sich bringen. Ähnlich wie in einer Partnerschaft, in der wir uns aktiv für einen Menschen entscheiden, egal welche (kleineren) Unstimmigkeiten, Fehler oder Eigenarten dieser mit sich bringt, „comitten“ wir uns auch mit der Business-Lösung, die wir gefunden haben. Was Ihnen hierbei hilft, Sie können es vermutlich erraten, ist der Blick auf Ihre Werte. Egal wie schmerzhaft eine Entscheidung sein mag, solange Sie mit unseren Werten einhergeht, können wir uns ihr gegenüber besser verpflichten, als wenn Sie aus der Not heraus getroffen wurde.
Mit jeder Entscheidung ein Stückchen weiter
Das positive ist: Umso mehr Entscheidungen wir treffen, umso besser werden wir darin. Wir entwickeln uns mit jedem Entscheidungsprozess stetig weiter und meistern die Herausforderung der Multioptionalität.
Entsprechend bedanke ich mich für Ihre (ich erlaube mir zu behaupten „richtige“) Entscheidung, diesen Artikel zu lesen und vielleicht sogar zu liken oder gar zu kommentieren. Ich hoffe, ich konnte Ihre Vorfreude auf die nächste Entscheidung wecken.